Die FDP vor den Wahlen 2021

Auffallend ist die schleichende Veränderung des Altersbilds und der Wertschätzung der Älteren, die meist negativ beschrieben werden. Ältere sind prinzipiell nur hilfsbedürftig, krank und pflegebedürftig, „prekär“ von oben bis unten. In den Medien erscheinen Ältere notorisch mit entblößtem Oberarm, in den unter möglichst prominenter Begleitung eine Spritze gejagt wird. Was für ein Unfug, den ein Minister oder Chefarzt offenbar gar nicht merkt.
Wir waren schon mal weiter. Durch das Engagement unzähliger Einzelner, von Seniorenorganisationen und der politischen Initiativen hatte sich das Altersbild sehr zum Positiven verändert. Es bestand auch kein Zweifel, dass viele gesellschaftliche Anliegen von Senioren zum Wohle der Allgemeinheit geleistet wurden, man denke nur an das Engagement älterer Helfer bei den Flüchtlingen. Die Älteren haben soweit sie irgend konnten die sich stellenden Aufgaben selbst in die Hand genommen. Erfahrung und Kompetenz waren wohl geschätzt.
Aus heutiger Sicht muss man sich allerdings fragen, wie stabil die im Ganzen positive Einschätzung der älteren Generation ist, oder ob sie doch nur selbstverständliche Verbundenheit, karitative und humane Empathie ausdrückt, so wertvoll dies ist. Anders gesagt, werden die Älteren in der kritischen Situation der Pandemie ernst genommen und als Akteure der Problemlösung einbezogen?
An dieser Stelle sollten sich die Älteren aber auch selbst fragen, ob sie ihrer Rolle gerecht werden. Viele können aufgrund gesicherter Lebensumstände bisher einigermaßen gut zurechtkommen. Und es ist sicher berechtigt, sich an der Kritik der Impfkampagne zu beteiligen. Daraus eine Art Staatsversagen zu stilisieren und eine kollektive Missstimmung zu pflegen, scheint mir übertrieben. Dass Ältere in ein allgemeines, auch undifferenziertes Wehklagen einstimmen, scheint mir der Lebenserfahrung und der Verpflichtung, positive Akzente zu setzen, zu widersprechen. Mir fällt überhaupt auf, wie groß offenbar in der Gesellschaft das Bedürfnis zu kritisieren und negative Entwicklungen zu beschreiben ist. Dem Ruf nach Bewahrung und Wiederherstellung der bürgerlichen Freiheit traue ich dann nicht so recht, wenn er von Seiten derer kommt, die sonst nichts mit Liberalismus am Hut haben.
Die FDP und die mit ihr verbundenen Liberalen Senioren sind massiv gefragt. Sie haben es gerade in der dramatischen Corona-Situation nicht leicht, die ihr gemäße liberale Rolle zu verdeutlichen. Es ist sicher richtig, dass es auch noch andere Großthemen gibt, die nicht vernachlässigt werden dürfen, um nur das Klima, die Mobilität und eine aus der Zeit gefallene Nationalstaatsdiskussion zu nennen. Es gibt nicht nur Corona und den baldigen Weltuntergang.
Was ist zu tun? An erster Stelle die Präzision und Qualität der Kritik. Auch die Regierung kann mal was rechtmachen, manchmal sind die Argumente der FDP auch nicht der einzige Schlüssel zur Lösung der Probleme. Manchmal habe ich den Eindruck, dass man in der öffentlichen Diskussion nun rein gar nichts rechtmachen kann. Der Übergang von Kritik in Gemecker scheint mir fließend. Und da sehe ich auch eine Aufgabe der Älteren, sich nicht in die Rolle der abseits stehenden Meckerer drängen zu lassen, die nur ihre eigenen Anliegen im Blick haben.
Sachlichkeit ist oft mühsam aber durch nichts zu ersetzen. Gerade Corona macht einen gesellschaftlichen Grundkonsens zur gemeinsamen Bewältigung einer Katastrophe zwingend erforderlich. Dabei ist es die Aufgabe der FDP, der Kernfrage nicht auszuweichen, wie Lockdown als notwendige ultima ratio und Wiederherstellung des gesellschaftlichen Lebens im Gleichgewicht gehalten werden können. Solange das Virus nicht unter Kontrolle ist, latent die Gefahr eines Wiederauflebens besteht, sind Bekenntnisse zu Grundrechten und liberaler Lebensgestaltung das was sie sind, eine Option und eine Hoffnung.
Februar 2021
Dr. Sütterlin, Ehrenvorsitzender der Liberalen Senioren